Will kommen

Jan 16, 2021 | Aktuelles, Wort zum Sonntag | 0 Kommentare

Geschrieben von Tomas Kaupeny

16. Januar 2021

Zum Geleit

 

 Meine Lieben!

 Am Mittwochmorgen ist unser guter Altpfarrer Henk Landman in seinem Zimmer verstorben. `Nur danken kann ich, mehr doch nicht´, wenn ich seiner gedenke.

Gut erinnere ich mich noch an unseren ersten Kontakt: Nach vielen Absagen betreff meiner Ausschau und Anfragen bezüglich einer Wiener Kirche, in der wir Sonntagabends als Caritasgemeinde Gottesdienst feiern können, wende ich mich ratlos an meinen Beichtvater Anton Berger. Der antwortet ohne Nachdenkpause: „Frag den Henk Landman. Wann´s da wen gibt, dann der.“ Er schreibt mir die Telefonnummer auf. Ich hatte den Namen vorher noch nie gehört.

Tags drauf ruf ich an.

„Landman“ –

„Grüß Gott, lieber Herr Pfarrer, hier spricht der Tomas Kaupeny, Caritasgemeinde…“

„Sonntagabend müsst gehen, Kirche ist frei. Willkommen!“

 

Und dieses `Willkommen´ hat er nicht nur über zwei Jahrzehnte durchgehalten, sondern er selbst, der Grandseigneur, kam immer persönlich, Sonntag für Sonntag, bis zuletzt, um mit uns zu feiern.

 

`Will-kommen´ –  Henks Kennwort mag ich mir mitnehmen in den mühseligen Alltag. Ein Wort, über das nachzusinnen sich lohnt. Ein Wort, das mit Leben erfüllt sein will.

`Vergelt´s Gott, lieber Henk´ – `Segn´s Gott!´ – `Will kommen!´

Wort zum Sonntag

Predigt vom 4. 7. 2021

"Es gibt im Menschen den Hang zur Philosophie des "nichts anderes als...Der ganze Mensch is nix anderes als...". Tomas lädt ein zum Nachdenken über die Versuchung der Abwertung des Anderen und zur Wertschätzung des Lebendigen. (m)EINBLICK – CWs KolumneWas Dich noch...

PROPHETEN-LOS ?

Bibelrunde14. Sonntag im Jahreskreis Halleluja. Halleluja. Der Geist des Herrn ruht auf mir. Der Herr hat mich gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen. Halleluja.Eindrucksvoll, wie dieser Vers aus dem Psalm 123 – als „Antwortpsalm“ zwischen den Lesungen –...

Predigt vom 27. 6. 2021

"Zwei Menschen am Abgrund der Verzweiflung begegnen uns im heutigen Evangelium. Zwei Menschen - in den Augen dieser Welt mit aussichtslosen Anliegen..." So beginnt Tomas seine Predigt über die Tochter des Jairus. Er erinnert sich an die Begegnung mit einer jungen Frau...

Bedrohtes Leben

BibelrundeMarkus 4, 35 – 41  Am Abend dieses Tages sagte er zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüber fahren.Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg. Einige andere Boote begleiteten ihn.Plötzlich erhob sich ein heftiger...

Predigt vom 13. 6. 2021 -„Senfkorn“

„Die Worte des Evangeliums atmen ein Wort, dieses Wort ist ein heiliges Wort: Geduld. Alles Lebendige braucht Geduld. Alles hat seine Zeit und alles braucht seine Zeit.“ (TK).Von der Schildkröte Hannibal bis zum ruppigen Friedhofsverwalter am Telefon spannt Tomas den...

Predigt vom 6. Juni 2021

"Familiengeschichten" sind der Ausgangspunkt im Sonntagsevangelium, nicht ungewöhnlich also, dass Tomas Nachschau in der eigenen Familie hält, aber weit darüber hinaus geht und letztlich bei einem der großen Spannungen des christlichen Selbstverständnis landet: den...

Predigt 30. 5. 2021 – Vom Entgegenkommen

"Da trat Jesus auf sie zu." Ausgehend von diesem Wort erzählt Tomas, in welchen Begegnungen und Situationen er das Entgegenkommen Jesu zuletzt erfahren hat. Im Alltäglichen und Zu-Fälligen: Eine Feier im Mutter-Kind-Haus, ein Besuch in einem Obdachlosenhaus,...

Predigt am Pfingstsonntag 23. 5. 2021

"Du kannst die Wahrheit einem Menschen wie einen nassen Fetzen um die Ohren knallen oder du kannst sie ihm hinhalten wie einen Mantel, in den er hineinschlüpfen kann." Wie es ist, einen Beistand an seiner Seite zu haben, das ist der Ausgangspunkt für die...

Quelle und Fels und Licht und Leben…

Pfingstsonntag   Noch ganz lebendig ist der Eindruck, den die Predigt von Tomas am vergangenen Sonntag hinterlassen hat: Die 99 und noch mehr Namen Gottes…  Was zu Pfingsten geschehen ist, lässt sich wohl kaum wirklich beschreiben. Die Berichte sind voll von...

Zur Einstimmung

Amazing grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.
Erstaunliche Gnade, wie süß der Klang,
Die einen armen Sünder wie mich errettete!
Ich war einst verloren, aber nun bin ich gefunden,
War blind, aber nun sehe ich.
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Schriftliche Predigt von Tomas zum 2. Sonntag

Will kommen

(Joh 1, 35-42)

Ihr erinnert Euch an das Titelbild meines heurigen Weihnachtshefterls: der uralte Esel hat offenbar ein geheimnisvolles Vorübergehen wahrgenommen, dem er mit Auge, Ohr und Nüstern nachsinnt. Und ein geschickter Photograph hat exakt im richtigen Moment abgedrückt: `Der über den Vorübergang nachsinnende Esel´ hat nicht nur ihn, sondern auch mich und mittlerweile so viele Menschen angesprochen. Im Hefterl drin finden sich lauter kleine, persönliche Erlebnisse dieser Art – skizziert, um über ein Phänomen, das wir alle kennen, neu zu staunen: `Mein Blick bleibt an was hängen…´- `Das hat mich sofort angesprochen…´- `I hab a Nas´n, an Riecher für sowas…´- `Ich hab´s g´spürt, da kommt heut noch was…´

Johannes hat Jesus, seinen Cousin, von klein auf gut gekannt. `Beste Freunde´ würden Kinder, mit Daumen nach oben, heut sagen. Diesmal aber, wie am Vortag auch schon, ist es ihm wieder aufgefallen, eingefallen – ein erhellter Moment: War´s dieser Schritt, der Gang, der Blick, der Gesichtsausdruck, die Stimme? So wie am Vortag auch schon, schaut er ein inneres Bild, als Jesus vorübergeht. `Seht, das Lamm Gottes…´

Ihm übersetzt sich des weisen Nathan uralte Erzählung vom kleinen Lamm, dessen Wesen und Schicksal den großen König David, Jesu Urahn, wieder zur Besinnung gebracht hat.  (2 Sam 12, 1-7)

 Ein Lamm ist wehrlos, schutzlos ausgeliefert, ganz und gar angewiesen auf die anderen, die es immer sehnsüchtig in seiner Nähe haben will: Die mütterliche Sicherheit. Den Schutz und Zusammenhalt der Herde. Die Gegenwart und die Wegzeichen des Hirten.

Ein oberösterreichischer Schafhalter hat mir erzählt: Sobald für die Mutterschafe die Zeit zu lammen gekommen ist, geht er täglich bereits im Morgengrauen zu seinen Tieren. Die Mutterschafe mit ihren Kleinen kommen nämlich auf eine eigens gesichert abgezäunte Weide mit vielen Schutz- und Versteckmöglichkeiten. Außerdem erhalten nur diese Tiere ein besonderes Zusatzfutter. Allerdings sei es sehr schwierig, so sagt er, ein ausgewachsenes Schaf von der schützenden Herde wegzuholen, eigentlich geht´s nur zu zweit, nur mit Strick, Zerren und Treiben zugleich. Deshalb nähert er sich behutsam dem in der Nacht neugeborenen Lamm, nimmt das noch völlig arglos zutrauliche Tierlein auf den Arm und marschiert los. Die Mutter folgt ihrem Kind überall hin. Der Mutterinstinkt und das Vertrauen in den Hirten sind in dieser Situation stärker als der Herdentrieb…

 Ein lieber Freund wiederum, der in der Nähe von Wien eine kleine Herde hält, erzählte mir von einem neugeborenen, schwächelnden Lamm: der Milchfluss des Muttertieres war versiegt, hungrig und durstig stieß das Kleine immer wieder mit der rosa Nase an die trockenen Zitzen – um dann den Menschen, der da stand, mit derselben Bewegung anzustupsen. Kurzerhand nahm er das Schaferl mit nach Hause. Seine große Familie war begeistert vom Neuzuwachs, der da zunächst in einem großen Karton weich gebettet wurde. Und das Viecherl gedieh prächtig. Es bekam mehrmals am Tag das Flascherl, und eine Windelhose – für´s Schafschwanzerl wurde beim Windelwechsel immer ein kleines Loch geschnitten. So angetan durfte es sich bald völlig frei in der Wohnung bewegen. Und spielte allerliebst mit seinen Kindern.

Otto nahm das Kleine sogar eines Sonntagmorgens mit in die Himmelkapelle zum Gottesdienst. Da ereignete sich vor meinen Augen etwas Unglaubliches: unsere `Wildesten´ verwandelten sich in der Gegenwart dieses so zutraulichen Wesens in sanftmütig fürsorgliche Tierfreunde. Behutsam streichelten sie das Lamm und wiesen einander zurecht, wenn sie in ihrer Begeisterung immer lauter wurden. Ja, tatsächlich –  diese rauen Gesellen bemühten sich, ganz leise zu sprechen: ergriffen von tiefer Ehrfurcht vor dem Wunder.

Jesus aber wandte sich um und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: „Was sucht ihr?“  Sie sagten: „Rabbi, wo wohnst Du?“ Er sprach: „Kommt und seht!“ Da gingen sie mit ihm und sie sahen, wo er wohnte…

Zwei Wochen mag´s her sein. Missmutig steh ich gedankenverloren am Fenster und überlege – coronabedingt – hin und her und her und hin, wie ich meine Krankenbesuche für diesen Nachmittag planen soll. `Nein, geht sich nicht aus, aber – vielleicht, wenn ich doch zuerst…?´ Mir raucht bereits das Hirn. Da nimmt mein Auge unten, auf dem Grünstreifen vorm Haus eine Bewegung wahr. Bleibt hängen an einem schwarzgekleideten tschetschenischen Jugendlichen. Dort trifft sich nämlich nahezu täglich gern eine Gruppe, oft auch recht lautstark. Wir waren ja nicht viel anders…

Der Bursch blickt auf die Uhr und breitet dann seinen Anorak aus – offenbar zu früh dran, will er sich niedersetzen. Aber – nein, dass sowas gibt: er kreuzt die Arme vor der Brust, verneigt sich mehrmals, dann kniet er nieder, berührt in ruhiger Auf und Ab-Bewegung den Boden. Dieser Ablauf wiederholt sich mehrmals ident, ganz hingegeben ins Gebet wirkt der junge Mann. Und auf einmal spür ich eine brennende Sehnsucht nach dem Verlorenen, begebe mich neu auf die Suche – mein Johannes ist dieser mutig ungeniert betende Muslim, der mich im Vorübergang an etwas erinnert, und auf jemand hingewiesen hat. Und von einem Augenblick auf den anderen weiß ich, wo ich heute Nachmittag hingehen werde. Mein Herz ausschütten…

Geh dem nach, was Dir nachgeht… Es sind Funken vom Hirtenfeuer der Weihnacht und das erste Blinzeln der Sonne vom Ostermorgen.

Nach einem Tiergartenbesuch, mit der herzkranken Melli im Rollstuhl unterwegs, brauen sich dunkle Gewitterwolken zusammen. Wir flüchten uns in die Hietzinger Kirche. Draußen bricht das Unwetter los. Ein schmiedeeisernes Gitter trennt die Eintretenden vom Mittelschiff. Melli presst ihre kleine süße Stirn an die kalten Stäbe, späht zittrig ins Dunkel hinein, fragt mich dann, noch ganz Tiergarten-beseelt: „Was ist da drin? Wer wohnt da?“ „Jesus“, antworte ich. Melli schüttelt irritiert den Kopf: „Kein schöner Käfig! Armer Jesus!“  Dann presst sie die Hand auf die Brust und wimmert zweimal: „Herz! Herz!“ – Melli war, wie gesagt, schwer herzkrank. Ob sie, wie so oft, Atemnot und Herzstechen verspürte, oder etwas anderes ausdrücken wollte, kann ich nicht sicher sagen.

In der Brigittakirche: Im Windfang begrüßt ein Schild: `Das Allerheiligste ist von 7 bis 19 Uhr ausgesetzt, ausgenommen die Gottesdienste.´ Das ausgesetzte Allerheiligste: eigenartig gewähltes Wort, oder? Ausgesetzt – wie ein grausam verstoßenes Tier? Ausgesetzt – der Mutter Erde anvertraut, wie eine Blumenzwiebel im Herbst? Wind und Wetter ausgesetzt – wie der Wanderer unter freiem Himmel? Ausgesetzt – wie eine abgesagte Veranstaltung, wie eine unterbrochene Therapie? Ausgesetzt – wie ein Steig in steilem Gelände? Ausgesetzt vielen Blicken, Worten, Gesten…? Auf Gedeih und Verderb ausgesetzt unseren Herzen…

 

„Wo wohnst Du?“ war wohl weder eine Frage nach Lage, Adresse, Haus- und Türnummer, noch die allen vertraute Neugier auf Zimmereinrichtung, Bilder an der Wand oder den Ausblick vom Fenster. Ach, dieses „Wo wohnst Du?“ war wohl tiefer gefragt: Wo ruhst Du aus? Wo schöpfst Du? Woher und wie kommt Dir diese Deine Kraft zu, diese Anteilnahme und Dein Anteilgeben?

„Kommt und seht!“ Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben. Ihm nachfolgend unterwegs in Begegnung mit Arm und Reich, Nah und Fern, Groß und Klein, Alt und Jung, Sauber und Schmutzig, Krank und Gesund. Von Mensch zu Mensch aufmerksam in der Begegnung. Von Herz zu Herz allen Widerständen zum Trotz, immer auf der Suche nach der verkommenen Güte des Menschen. Sehen und Schauen. Hören und Horchen. Fühlen und Spüren. Reden und Sprechen. Singen. Und die langen Nächte in der Bergeinsamkeit, Dank, Bitte und Fürbitte. Unter Tränen oder auch jubelnd. Ist nicht darin vielleicht sein Zuhause zu entdecken?

In der Nacht nach Tommis Begräbnis träumte mir, ich hetze auf einer Hauptstraße an einer offenen Kirchentür vorbei. Auf einmal dringt ein ganz eigenartig, vorher noch nie gehörter Glockenklang an mein Ohr: zart und sanft, aber genau darin unbeschreiblich kraftvoll, vielstimmig lebendig. Zwischen Bremsen-Quietschen und Hupkonzert mach ich kehrt, geh die paar Schritte zurück – und: da steht Tommi vor der Kirche. Er trägt sein Ministrantengewand, das an der Brust und am Bauch ein wenig spannt, so wie es immer war. In der Hand hält er jene Glocke, mit der er immer in der Himmelmesse geläutet hat. Aus ihr war offenbar dieser wunderbar verheißungsvolle Schall des Rückrufs erklungen. „Tommi!“ sag ich staunend, „Tommi, Du hast mich gerufen?!“ „Ja, natürlich, Herr Tomas Kopeini, bitte…“ lacht er verschmitzt und verbeugt sich, in gespielt ungelenker Bewegung wie ein Weltklasse-Clown, mich zum Eintritt in die Kirche einladend.

Seither schaff ich´s wieder jeden Morgen zu Fuß erst einmal in die Brigittakirche, bevor alles andere drankommt.

Immer, wenn ich im `Vater unser´ bei `Dein Reich komme´ innehalte, betet´s in mir „Bitte gib mir Geduld, Humor und gute Nerven!“ Diese Bitte mag ich Euch in der aktuell so verrückten Situation, die ein zermürbend zersetzendes Potential in sich trägt, neu ans Herz legen. Statt Trübsal zu blasen und sich zu verlieren in allerlei Spekulationen, Schuldzuweisungen und Unheils-Prophetien, lasst uns bitte den heutigen Tag mit dem Reichtum seiner Möglichkeiten nutzen, das Gebot der Stunde achten – und, wenn´s eng wird, Geduld, Humor und gute Nerven erbitten.

Und der Tag wird kommen, da sind wir wieder in gewohnter Weise beisammen und blicken auf diese Zeit zurück: auf ihre Last und was sie uns gelehrt hat.

Darauf vertraut mit Euch,

Euer Tomas