InnenZeit
Das wöchentliche CoronEssay von Christian Wetschka
Unterwegs nach Galiläa

Geschrieben von Christian Wetschka
(m)EINBLICK – CWs Kolumne
Der 30. Mensch.
InnenZeit Das wöchentliche CoronEssay von Christian WetschkaDie Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen…...
Vom Sinn des Feierns
InnenZeit Das wöchentliche CoronEssay von Christian Wetschka(m)EINBLICK – CWs KolumneDie Freude kommt aus dem Gefühl der Zugehörigkeit. Die Trostlosigkeit unserer Welt, auch wo es äußerlich nicht so trostlos aussieht, kommt aus der Vereinzelung, aus der Isolation, und...
Die Würde des Gartens und die Würde der Menschen, Teil II
Die Liturgie des GartensHorchen Spätabends, wenn ich in den Garten gehe, um mein Fahrrad zu holen, bleibe ich manchmal im Gartentor stehen und horche. Wenn es still ist, höre ich, wie der Garten atmet. Und wie er zu mir spricht. Eine sanfte Berührung, ein Hauch, eine...

„Und sie gingen hinaus und durchzogen die Märkte, verkündigten die Frohe Botschaft und machten gesund an allen Enden.“ (Lk 9,6). Jesus hatte keine eigene Kirche, keinen Platz, auf dem er „sein Haupt betten konnte“, er war unterwegs, aus Prinzip.
In Bewegung zu sein, ist ein Lebensprinzip, das uns als Caritasgemeinde alljährlich zu Ostern und Weihnachten – und natürlich auch bei der Wallfahrt im September – zu einer Herausforderung wird, die wir jedes Mal neu entdecken und annehmen müssen. Die Caritasgemeinde ist keine Pfarre, sondern eine Gemeinde ohne eigene Kirche. Das ist kein Fehler, sondern Grundverfassung. Die Menschen sollen mehr im Vordergrund stehen als die Sorge um ein Gebäude und allem, was daran hängt. In der Kirche am Schedifkaplatz sind wir zu Gast, wenn auch schon seit dem Sommer 1996, aber zu Ostern und zu Weihnachten braucht die Pfarre ihre Kirche und wir müssen uns jeweils Orte suchen, wo wir die „Hochfeste“ feiern können. Nach vielen Jahren bei den Kalasantinern in der Pater Schwartz-Gasse (der Orden brauchte die Kirche dann auch wieder für sich) und bei den Schulbrüdern in der Gebrüder Lang-Gasse, wandern wir seit einigen Jahren in die Rennbahnsiedlung abwechselnd in zwei verschiedene Kirchen (Heiliges Kreuz und Don Bosco) – und zu Weihnachten zu den lieben Schwestern vom Sacré Coeur am Rennweg.
Speziell die Karwoche ist neben der Liturgie diesem Unterwegssein gewidmet. Wir transportieren ganze Busladungen von erforderlichen Hilfsmitteln in die jeweiligen Kirchen: die Ministrantengewänder, die Tonanlage, Musikinstrumente, Liederhefte, Blumen für den Gründonnerstagsschmuck, Erde und Kerzen für den traditionellen Kerzenberg, Symbole für Karfreitag, Körbe für die Speisenweihe, Brot für die Agape, usw. Selbst mit den bewährten „Listen“ ist es schwierig, die Übersicht zu bewahren. Irgendetwas geht immer schief. Die Erfahrung des Scheiterns trotz bester Vorbereitung ist eine Realitäten, die uns liebevoll begleitet.
Die Unberechenbarkeit und Bewegtheit gehört zu den Geburtsprägungen der Caritasgemeinde. In den 80er und 90er-Jahren feierten Georg Sporschill SJ und Tomas Kaupeny in den verschiedenen Obdachlosenheimen, die Georg gegründet hatte, die allwöchentlichen Gottesdienste. Da gab es die alten Kapellen im Jugendhaus und im Vinzenzhaus (mit der unvergesslichen Faltwand, nach deren Öffnung der Speisesaal der Hausbewohner zum Kirchraum wurde) , die Gottesdienste „unter der Erde“ in den Keller-Kapellen im Haus Miriam und im Rupert Mayer-Haus (bei letzterer musste man auf dem Weg in die Kapelle stets durch das Notquartier gehen), und natürlich die Messe „Am Himmel“ im damaligen Behindertenheim. An jedem dieser Gottesdienstorte kam man unweigerlich in Berührung mit Menschen „am Rand“ der Gesellschaft, und wenn man wollte, konnte man diese Menschen nach der Messe bei der „Agape“ auch näher kennenlernen. In dieser Zeit wurden einzelne Menschen zu wichtigen Geburtshelfern und Wegbegleitern von dem, was wir heute „Caritasgemeinde“ nennen. An drei Menschen aus dieser frühen Zeit, für mich untrennbar mit Ostern verbunden, möchte ich hier erinnern.
Günter war einer der ersten Bewohner, die ich im Vinzenzhaus kennengelernt habe, damals ein schwer gezeichneter Alkoholiker, von dem man annehmen musste, dass er nicht mehr lange leben würde. Nachdem das Frauenhaus der Caritas gegründet wurde, besuchte er dort die Hl. Messen am Samstag Abend. Bei diesen Anlässen lernte er seine Lebensliebe kennen: Erika. Günter und Erika wurden ein Paar. Er hörte ab diesem Moment gänzlich mit dem Trinken auf und fing auch nicht wieder an, als Erika 2012 nach einem langen Leiden verstarb. Günter ist noch immer Ministrant in der Caritasgemeinde, nunmehr seit drei Jahrzehnten, und seit einigen Monaten Mesner in der Pfarrkirche Altlerchenfeld. Mit seiner Ruhe, Bescheidenheit und Zuverlässigkeit trägt er dazu bei, dass wir in den bewegten Zeiten das Maß nicht verlieren. Das Ministrantengewand, das ihm Agnes vor über 30 Jahren für die Hl. Messen in der Gfrornergasse genäht hat, hat er nie gegen ein anderes, moderneres wechseln wollen. Dass am Grab seiner Erika stets das Ewige Licht leuchtet, ist ihm heilig. In dieser Treue zu den schlichten, wesentlichen Zeichen, in denen sich sein Glaube widerspiegelt, ist er uns stets neu ein Vorbild.
Eine der turbulentesten und bereicherndsten Freundschaften, die unter anderem in der Kapelle im Frauenhaus – quasi im „Untergrund“ – entstanden – war jene mit Marianne. An jedem Samstag, wenn die Gäste zur Messe kamen, stand Marianne in der Küche und kochte für die Messbesucher. Ihr strenges Regiment gepaart mit ihrer Hingabe, den Menschen etwas Gutes zu tun, haben in den Jahrzehnten danach Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen erfahren. Bis vor 3 Jahren war Marianne die Chefin von allen Agapen sowohl an jedem Sonntag als auch zu Ostern. Mit Strenge und Kalkül wachte sie darüber, dass alle „genug“ bekamen, nie durfte etwas „zu wenig“ sein, nie „ungerecht“ zugehen. Dabei ging sie prinzipiell an ihre Grenzen, manchmal darüber hinaus. Das Ende ihres ehrenvollen Amtes war schließlich die Osteragape vor drei Jahren. Als das Werk der festlichen Ausspeisung nach der Ostermesse getan war, brach sie mit einem Lungeninfarkt zusammen. Es folgte eine lange Zeit auf der Intensivstation, mit den Folgen lebt sie bis heute. Doch immer noch wacht Marianne aus der Ferne über ihr „Team“, schreibt die Agapepläne, erinnert mich daran, dass wir die Brotbestellung für die Feiern nicht vergessen sollen. Ein Bild, das mich oft staunen ließ: sogar als sie schon auf den Rollator angewiesen war, machte sie sich jeden Sonntag die Mühe, einige Menschen (auch mich) in der Caritasgemeinde mit kulinarischen Aufmerksamkeiten zu erfreuen. Leute zu ernähren und mit Essen Freude zu bereiten, war von je her Mariannes Art, Menschen zu segnen und ihnen Gutes zu sagen. Das Bild des vollgepackten Rollators hat mich daran erinnert, wie wichtig es ist, dem treu zu bleiben, was einem wichtig ist.
Ein wichtiger Ostermensch und zweifellos eine meiner wichtigsten Stützen bei unseren österlichen Aufgaben war stets Norbert. Seit er die Nachtdienste bei der MA 48 übernommen hat, sieht man ihn unter den Ministranten am Schedifkaplatz seltener. Aber in der Caritasgemeinde kennt ihn jeder und jeder akzeptiert ihn als Autorität, sei es als Ministrantenchef oder Wallfahrtsdirektor. Norbert kennt die Mühen des Unterwegsseins und den Stress des Organisierens an wechselnden Plätzen wie kein anderer. Norbert und alle seine Geschwister kamen schon sehr früh von den Eltern weg in verschiedene Heime (einer der Brüder als einziger zu einer Pflegefamilie). Die Eltern wurden in der Folge obdachlos und lebten in Abbruchhäusern. Als Norbert volljährig wurde und er das Heim verlassen musste, zog er zu den Eltern, und das hieß: von einem Ort zum anderen, von einem Abbruch zum nächsten. Als die Mutter verstorben war, hatte sein Vater einen schweren Unfall und wurde zum Epileptiker, Norbert betreute ihn liebevoll bis zu seinem Tod. Ein Bild scheint mir typisch für ihn: in der ersten Phase brachte er seinem Vater jeden Tag eine Thermoskanne Kaffee auf die Baumgartner Höhe – wenn er kein Geld für den Fahrschein hatte zu Fuß – auch im Schnee und Regen. Treue und Durchhaltevermögen sind zwei der wunderbaren Charakterstärken Norberts. Ich habe Norbert im Vinzenzhaus der Caritas kennengelernt – nach einer seiner Alkoholtherapien. Der Weg in die Abstinenz war ein langer und mühevoller, auf dem ich ihn begleiten durfte. Jedes Jahr in der Karwoche nimmt sich Norbert von seinem Job bei der Straßenreinigung speziell für die Caritasgemeinde Urlaub. Er hilft bei den mühsamen Transporten und hat den Überblick bei den Abläufen in den jeweiligen Kirchen. Als wir noch den Gründonnerstag bei den Schulbrüdern im Keller feierten, eines der vielen mir eingeprägten Norbert-Osterbilder, und wir den ganzen Saal mit unzähligen Tüchern und Stoffbahnen in ein „Zirkuszelt“ umwandelten, kletterte Norbert auf Sessel und Leitern und dirigierte je nach Gelingen der Arbeitsschritte fluchend, lobend oder scherzend die fachgerechte Montage. Ich mag Norberts Ruppigkeit und Rauheit, auch wenn er damit manchmal übers Ziel schießt. Er wirft sich in alle Aufgaben hinein ganz und ohne Vorbehalt, so wie er halt ist, und manchmal spürt man noch, was er hinter sich hat und was ihn geprägt hat.
Günther, Marianne, Norbert stehen für die vielen besonderen Menschen, die der Caritasgemeinde auf dem Weg geschenkt wurden. In ihnen spiegelt sich der Lebensgeist dieser fragilen, nie zur Ruhe kommenden Gemeinschaft wider. Es sind Menschen, deren Lebenserfahrung als Obdachlose und mit schweren inneren und äußeren Belastungen Ringende sich zum Segen für viele gewandelt hat. Aus der Selbstzerstörung wurde der Dienst an anderen. Um es österlich zu sagen: sie sind Auferstandene, den Todesmächten der eigenen Seele Entkommene. Sie gehen uns voraus – nach Galiläa, „dort werdet ihr ihn sehen…“