InnenZeit

Das wöchentliche CoronEssay von Christian Wetschka

Vom Sinn des Feierns

von | Mai 17, 2020 | Archiv – InnenZeit | 0 Kommentare

Geschrieben von Christian Wetschka

17. Mai 2020

(m)EINBLICK – CWs Kolumne

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Die Freude kommt aus dem Gefühl der Zugehörigkeit.

Die Trostlosigkeit unserer Welt, auch wo es äußerlich nicht so trostlos aussieht, kommt aus der Vereinzelung, aus der Isolation, und die Freude kommt immer, auch im gemeinsamen Leiden, aus der Gemeinschaft, aus der Zugehörigkeit. Für mich bedeutet es sehr viel, als Christ mit Menschen in der ganzen Welt zusammenzugehören, besonders mit den Armen, denn die Mehrzahl der Christen sind ja Arme, und die große Freude zur Zeit Jesu war die, dass alle, die Ausgestoßenen, die Sünder, die Armen, Tischgemeinschaft hatten und gemeinsam Heilung fanden. Und die letzte Heilung ist immer die Heilung von der Vereinzelung. Entfremdung ist das große Elend. Und die Kirche, wo sie wirklich noch lebendig ist, gibt Gemeinschaft. 

                                                                                                                     David Steindl-Rast OSB

 

Wenn ich die Stiegen in der Mentergasse hinaufgehe, wandert mein Blick oft über die vielen Bilder der Verstorbenen. Ich versuche, es nicht zu tun, aber manchmal geschieht es, dass ich gerade bei denen stehenbleibe, die freiwillig aus dem Leben gegangen sind. Jede einzelne ihrer Geschichten hat sich tief eingebrannt in mein Herz, die Geschichten von Menschen, die nicht mehr weiterkonnten, aus ganz unterschiedlichen Gründen, oft aber aus Einsamkeit und aus dem Gefühl, nirgendwo mehr dazuzugehören, ja anderen eine Last zu sein. Jeder dieser Menschen hat mir einen Auftrag hinterlassen.

 Für die Gekränkten, und das sind viele in der Caritasgemeinde (Ernstl meinte letztens, wir wären eine Gemeinde aus „Patienten“), ist es nicht leicht, dieses Leben zu feiern. Den Gekränkten ist irgendwann die Existenzberechtigung abgesprochen worden, oft von den wichtigen Anderen, von den Eltern, vom Partner, vom Vorgesetzten, vom Leben selbst. Die Kränkung, das ist ihr Wesen, sitzt tief, hat sich eingenistet, und oft ist sie schon lange da, ein Leben lang vielleicht. Gekränkte leben mit der Stimme, die ihnen laut oder leise die giftigen Worte ins Ohr flüstert: „Es ist nicht gut, dass du da bist!“ „Niemand braucht dich…“ „Es macht keinen Unterschied, ob du da bist oder nicht…“ – Manche verdrängen diese Stimme und werden depressiv, manche werden Alkoholiker, manche Terroristen (im wirklichen oder im übertragenen Sinn), manche nehmen sich das Leben, aber alle, da bin ich sicher, suchen im Letzten die Heilung ihrer Lebenswunde.

Franziskus erscheint spontan in der Kantine beim Essen für Bedürftige und Flüchtlinge

Begegnung mit den Waisen ertrunkener Flüchtlinge

Schon vor Jahren, dieser Gedanke wird ihn überleben, hat der Papst die Kirche mit einem Feldlazarett verglichen:

»Ich sehe ganz klar« – fährt er fort -, »dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen Schwerverwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen. Die Wunden heilen, die Wunden heilen… Man muss ganz unten anfangen.«

Gekränkte tun sich manchmal schwer mit dem Feiern. Sie sind ja lange schon nicht gefeiert worden, lange nicht in den Mittelpunkt gestellt worden, ihnen wurden keine Lieder gesungen, keine Gedichte geschrieben, keine Torten gebacken, kein Applaus gespendet. Und auch wenn es so war, ist ihnen dieses Lebensgefühl, einen Platz im Leben zu haben, irgendwann genommen worden.

 

Die exzessivsten Jahre des Feierns habe ich in den 13 Jahren Alkoholiker-Wohngemeinschaft in der Sechshauserstraße erlebt. Waren die Geburtstagsfeiern anfänglich noch mit Unsicherheit behaftet, wurden die Geburtstagsfeiern der Bewohner mit der Zeit größer, ausgefeilter, immer mehr Besucher wurden eingeladen, manchmal mussten wir sogar in Lokale ausweichen. Das Feiern wurde zu einer wichtigen Brücke zwischen WG-Welt und Außenwelt – und gewissermaßen zum Aushängeschild dieser Gemeinschaft. Im Feiern wurde sich die Gemeinschaft ihrer selbst und ihrer Stärken bewusst, und der Geist der Lebensbejahung, der in diesen Feiern zum Ausdruck kam, war ein wichtiger Impuls für die fünf ehemals obdachlosen und alkoholkranken Männer auf ihrem Weg, die Kränkungen des Lebens zu überwinden. Das spürten auch die Gäste: in den vielen Feiern haben wir das Leben gefeiert, und das Leben hat stets geantwortet…

Eine der vielen Geburtstagsfeiern in der WG

Feiern kann eine Vergewisserung sein, dass wir noch dazugehören. Zu diesem Leben und zu den Menschen. Die Caritasgemeinde feiert viel. Nicht nur die feierlichen Sonntagsmessen. Oster- und Weihnachtsliturgien, Taufen, Firmungen, Hochzeiten, Begräbnisse – und vor allem Geburtstage. Ein Feiern ohne Ende. Es ist notwendig, manchmal überlebensnotwendig. Keine Gelegenheit soll ausgelassen werden, die Wunden zu heilen, die das Leben den Menschen geschlagen hat. Unentwegt sagen wir es zwischen den Zeilen, zwischen den Gesten, in den kleinen und großen Zeichen im Umgang miteinander: Du gehörst dazu. Niemand kann dir das Recht zu leben absprechen. Du bist ein Teil dieses Lebens. Bei uns hast Du einen Platz, Deinen Platz.

 

Neben den Geburtstagsfeiern waren die Begräbnisfeiern am Friedhof jene Schule, wo sich mir nach und nach der tiefe Sinn des Feierns erschlossen hat: das Leben des Verstorbenen zu würdigen und die Lebenden daran zu erinnern, dass sie lebenswichtig füreinander sind. Dass jeder Mensch ein Zeichen für andere werden kann,  Botschaft sein kann. Jeder vermag einem anderen den Platz im Leben sichern. Kann Brücke sein, Weg, Quelle, Anker. Diese Grundverwobenheit aller Menschen im großen Spiel des Lebens, die uns allen Würde gibt, soll im Abschied aufleuchten. Wenn sich Menschen nach einem Begräbnis bei mir für die schöne Feier bedanken, dann nicht weil Blaskapellen aufgespielt haben oder Fahnenträger aufmarschiert sind (das ist bei Armenbegräbnissen nie der Fall), sondern weil das gelungen ist, was in jeder Feier im Letzten beabsichtigt ist: dass ein letztes Ja zum Leben eines Menschen oder einer Gemeinschaft gesprochen wird.

Weil es um so viel geht, eigentlich um alles, sind mir alle Eingriffe in das Gemeinschaftsleben der Caritasgemeinde, und dazu gehört auch das Feiern der Sonntagsmesse, eine große Last. Das Corona-Denken in den Köpfen der Menschen kann den Blick auf das, warum es geht, peinlich verzerren. Wenn am Schedifkaplatz in der Kirche nur mehr 29 Messbesucher (laut der 10m2-Regel) sitzen dürfen (und das mit Maske und Abstand), ist der Gedanke an die Feier des Lebens in unsichtbare Ferne gerückt.

Es gibt Grenzen, die man besser nicht überschreitet. In beide Richtungen.

Das Einzige, das ich Gott bitte,

dass der Schmerz mir nicht gleichgültig sein wird

dass mich der trockene Tod nicht

leer und allein findet, ohne genug getan zu haben

 

 Das Einzige, das ich Gott bitte,

dass der Krieg mir nicht gleichgültig sein wird

Er ist ein großes Monster und trampelt stark

auf der armen Unschuld der Menschen

 

(Aus dem Lied: „Sólo le pido a Diós“ von Mercedes Sosa)

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Mercedes Sosa, Argentinierin, die Stimme Lateinamerikas (1983, live)