Die Würde des Gartens und die Würde der Menschen, Teil II

Mai 10, 2020 | Archiv – InnenZeit | 0 Kommentare

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Aus der Caritasgemeinde

10. Mai 2020

Die Liturgie des Gartens

Horchen

Spätabends, wenn ich in den Garten gehe, um mein Fahrrad zu holen, bleibe ich manchmal im Gartentor stehen und horche. Wenn es still ist, höre ich, wie der Garten atmet. Und wie er zu mir spricht. Eine sanfte Berührung, ein Hauch, eine Melodie, die sagt: Du bist Teil des Lebens – und dieses Leben ist ewig. Es wird mich geben, auch wenn das alles hier vergangen sein wird…

Der Garten hat eine verborgene Liturgie. Er spricht, und was er spricht, ist keineswegs nur von dieser Welt. Er spricht zu jedem, der bereit ist zu horchen und zu lernen.

 

Projekte

Menschenfischer

Bibelrunde1. Lesung - Jona 3,1-5. 10 Das Wort des Herrn erging an Jona: Mach dich auf den Weg und geh nach Nínive, der großen Stadt, und rufe ihr all das zu, was ich dir sagen werde! Jona machte sich auf den Weg und ging nach Nínive, wie der Herr es ihm befohlen...

Aschermittwoch. Nach der Andacht in der kalten Kirche stehen die Menschen um den Feuerkorb im Garten. Der Wind bewegt die Flammen und verteilt den Rauch in alle Gesichter. Altes verbrennt, Neues soll entstehen. „Mensch gedenke, von der Erde bist du genommen, zur Erde kehrst du zurück…“

Knien

Der Garten lehrt knien. Er zwingt mich in die Knie, nötigt mich, mich auf den Grund zu begeben, in die Nähe der Wurzeln. Das Unkraut zwischen den Sträuchern lässt sich nicht gut nur mit Werkzeugen entfernen – das ist zu wenig effizient. Du musst hinunter auf die Erde und die hinterlistigen Triebe, die sich überall verstecken, um sich dann über den ganzen Garten auszubreiten, mit der Harke herausholen, am besten mit der Wurzel. Handarbeit und Kniearbeit. Wenn du Quadratmeter für Quadratmeter auf den Knien durch den Garten robbst, lernst du den Garten – und die Welt – aus einer anderen Perspektive kennen. Wenn du mit den Händen in der Erde gräbst, lernst du nicht nur die Bodenbeschaffenheit in den verschiedenen Ecken kennen, du baust auch eine Beziehung zum Boden auf. Mit der Zeit weißt du, wo die gute Erde mit den vielen Regenwürmern ist und wo die anorganische, die ständig austrocknet. Du siehst, wo Pflanzen sich gegenseitig Licht und Nahrung wegnehmen, und du erkennst, wenn es Pflanzen schlecht geht, – welke Blätter: Sprache der Stummen…

 

Gelobt seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.

Respekt

Nach und nach, wenn du bereit bist, lernst du Respekt vor den „Ungebetenen“: Nacktschnecken, die am liebsten die niedrigen Funkien auffressen, Nadeln von der Föhre, die den Boden übersäuern, Holler-Triebe, die nur schwer zu besiegen sind… Eine besondere Lehre war mir das Moos, das sich seit einigen Jahren in der Wiese großflächig ausbreitet: ich habe es leichtsinnigerweise selbst in den Garten gebracht, zu dekorativen Zwecken. Wenn ich gewusst hätte, wie sich diese an sich einfache Pflanze den Boden erobert und auch gegen den empfohlenen Dünger weitgehend resistent ist, hätte ich mehr Respekt vor ihr gehabt. Ich wusste nicht, dass es Moose bis in die Wüste geschafft haben und dort sogar im Sand überleben können. 

Jede Pflanze hat ihre Bedürfnisse, die man anfangs nicht kennt: mehr Licht oder mehr Schatten, mehr oder weniger Wasser, mehr oder weniger Platz, mehr oder weniger windgeschützter Ort, usw. Erkennt man die Eigenheiten, bekommen die Pflanzen auch Namen. In den ersten Jahren kannte ich nahezu gar keine Namen von den Gewächsen rundherum, nun haben die meisten schon Namen für mich: die 10 hohen Kirschlorbeer-Sträucher, die Hydrangea (Wasserfresser) oder Hortensien, die Spirea und Euonyma, Bambus, die Ilux, der Liguster, der Bambus, Phlox und Löwenmäulchen, Rhododendren, Weigelien, Flieder, Elfenkraut, Funkien, Farne, Schneerosen, Petunien, Pelargonien,… Magie der Namen und des gegenseitigen Erkennens.

 

Am zweiten Tag: …Dann sprach Gott: Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin. So geschah es. Das Land brachte junges Grün hervor, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, alle Arten von Bäumen, die Früchte bringen mit ihrem Samen darin. Gott sah, dass es gut war. (Gen 1)

Zeitgefühl und Geschichte

Jeder Garten hat seine Geschichte. Als in den 1850er-Jahren die Kirche gebaut wurde, befand sich an der Stelle der heutigen Gartenmauer die Kalkgrube. Noch bevor Pfarrer Franz Columbus 1862 ins Haus übersiedelte, pflanzte er im Frühjahr zunächst Sträucher, die er aus Mariabrunn holte. Die Bäume hatte er zu diesem Zeitpunkt schon gesetzt. Die großen Bäume, die heute im Garten stehen, die Föhre und die beiden wuchtigen über 20 m hohen Scheinzypressen, hat, gemessen an der Höhe der Bäume, mit ziemlicher Sicherheit Columbus nach 1862 gepflanzt. Die Trauerweide in der Mitte des Gartens, die er vermutlich auch gesetzt hat, hatte eine kürzere Lebensdauer (ca. 100 Jahre) und musste vor ein paar Jahren umgeschnitten werden. Bis 1945 war der Pfarrgarten vorwiegend das Refugium der im Haus lebenden Priester und Mesner. Pfarrliche Feste, so wie es heute üblich ist, fanden weder im Haus noch im Garten der Mentergasse statt. Der Garten wurde erst viel später zu einem Versammlungs- und Feier-Ort. Als Benedikt Czierzniak 1977 Pfarrer wurde, wurde auch der Garten stärker genutzt. Auf den Fotos in der Pfarrchronik sieht man andeutungsweise Sträucher und sogar eine gepflegte Wiese, die nach ihm wieder verschwunden sind.

Pfarrer Benedikt Cierzniak mit Vorgänger Franz Müller auf der Wiese im Pfarrgarten, ca. 1986

Realitätssinn und Geduld

Nicht alles, was man sich vorstellt, ist möglich. Es gibt eine Schönheit des Idealbildes – und es gibt eine Schönheit der Realität. Das Wesen des Ideals ist, dass es nie erreicht wird – und dass es das, was real ist, sogar töten kann. Der perfekte Rasen geht sich unter Nadelbäumen nicht gut aus. Rosen brauchen bestimmte Standorte, die es in unserem Garten eigentlich nicht gibt. Jeder Garten hat seine Grenzen, die man am Anfang noch nicht kennt. Es ist wie in Beziehungen zwischen Menschen: wenn man sich Rosamund Pilcher-Liebesgeschichten zum Vorbild nimmt, verblasst jede reale Beziehung. Den Traumgarten, wie man ihn im Internet sehen kann, sollte man gar nicht erst anstreben. Man muss sich vom Garten führen lassen. Was wächst, braucht Zeit, die richtige Zeit. Wer Tulpen und Märzenbecher im Frühling will, muss sie schon im Herbst setzen. Wer Kompost will, muss einen Komposthaufen anlegen, Monate warten und dann schaufeln, reitern, verteilen… Wer eine Hecke will, muss Jahre „investieren“. Und vom „Rasen“ reden wir gleich gar nicht.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:  geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit… (Koh)

Treue

Ein Garten erzieht den Gärtner zur Treue. Der Garten will Zuwendung, sonst wendet er sich ab. Da ist er wie ein Mensch. Die Böden wollen gedüngt werden. Der Kompost wartet auf seine Durchlüftung. Die Wiese will an allen heißen Tagen gegossen werden – und das zur richtigen Tageszeit (nur nicht in der prallen Sonne). Junge Pflanzen brauchen Schutz. Alte Blätter müssen entfernt werden, ebenso die Blattläuse, Nacktschnecken und die Un-Kräuter (so weit dies möglich ist). Die Amsel will ihr Wasserbad. Kurz, der Garten merkt, ob man sich mit ihm nur „beschäftigt“ oder ob man eine Beziehung mit ihm eingeht.

Das Unsichtbare und die Versuchung des Sichtbaren

Das Wesen des Gartens liegt im Verborgenen.

Eine der großen Versuchungen des Gärtners ist der schnelle Effekt, die Inszenierung des Sichtbaren. Blühende Pflanzen aus der Bauhaus-Gartenabteilung, schnell sind sie eingepflanzt, beeindrucken auf jeden Fall. Man spart sich viel Arbeit und die lange Zeit der Pflege einer Pflanze, die im eigenen Garten heranwächst. Dem Sichtbaren zu dienen, heißt in der Folge manchmal, den unsichtbaren Stellen im Garten keine Beachtung zu schenken: den Plätzen hinter den Hecken, dem Komposthaufen, den wuchernden Unkraut-Attacken an den Ziegelwänden… Das ist der Raum, den Schädlinge nützen, unsichtbare Ecken und verborgene Flächen. Der Gärtner braucht den Sinn für das Unsichtbare.

In den alten Kirchen stehen die Heiligenfiguren oft so hoch oben und manche gemalte Darstellung schwingt sich derart atemberaubend in die Höhe, dass sie das Auge des Besuchers nie erreicht, und es vermutlich auch nicht soll. Wer einmal am Dach des Stephansdomes war und die Wasserspeier und anderen Verzierungen gesehen hat, weiß, all das ist nicht in erster Linie für das Menschenauge gemacht. Auch in der Tiefe entzieht sich das Wesentliche in die Unsichtbarkeit. Niemand sieht das Fundament, das Tragende an sich, es bleibt dem Auge verborgen. Der Garten lässt es erahnen: das Wesen des Menschen ist unsichtbar. Ach ja, eines hätt ich so gern geborgen: die verborgene Güte des Menschen…

Im Spektrum der naturtherapeutischen Verfahren wie Landschaftstherapie, Wilderness Therapy, Eco Therapy Forest Bathing, Wassertherapie hat die Gartentherapie einen gewichtigen Platz, ist sie doch bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen, wo sie mit der Entwicklung der Psychiatrie und dem Aufkommen der modernen Psychotherapie in einem breiten Spektrum von Einsatzformen verbunden ist. Dieses reicht vom arbeitstherapeutischen Übungsverfahren, über physio- und ergotherapeutische Behandlungsansätze bis zu einer kunst- und kreativitätstherapeutischen Therapieform – ähnlich wie Kunst-, Poesie-, Dramatherapie etc..

Hilarion Petzold, Gartentherapie

Begegnungsraum

Der Garten ruft die Menschen zusammen. Es genügt, dass das Gartentor offensteht und Leute schauen rein, um einen Blick auf das Innenleben des Gartens zu erhaschen. Pfarre, Caritasgemeinde, kleinere und größere Gruppen kommen zusammen. Gerade in der Corona-Zeit mit all den Ausgangsbeschränkungen haben täglich mehrere Leute den Garten besucht, einfach nur um der Enge der Wohnungen zu entkommen,  in der Sonne zu sitzen. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers wird gegrillt, werden Feste gefeiert. Am Montag Nachmittag kommt die Kindergruppe. Gerne kommen die Alkohol-WGs auf Besuch, für die Gäste der Donnerstagsjause findet Ende Juni ein Gartenfest statt, bei dem über 100 Leute kommen, die Caritasband MOSAIQ spielt. Im Rahmen des Hoffest-Projekts des Bezirks haben schon Konzerte im Garten stattgefunden. Am Sonntag Vormittag findet im Sommer das Pfarrcafé im Garten statt. Für die Caritasgemeinde ist der Garten aber auch „Arbeitsprojekt“, wo Menschen miteinander oder auch allein arbeiten. Jedes Jahr bildet sich ein loses Team, das in den warmen Monaten den Garten betreut. Für manche ist die Möglichkeit, sich in einem Garten zu bewegen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen, teilzunehmen am Wachstum, einzutauchen in das Spiel von Sonne und Wasser, ein Trost und eine Ermutigung. Die meisten unserer Helfer leben mit schweren seelischen Leiden, nicht wenige sind in diesen Jahren relativ jung an den Folgen ihrer Suchterkrankungen gestorben oder zu Pflegefällen geworden.

 

Gelobt seist du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.

Die Liturgie des Gartens

Der Garten lädt alle ein, er macht keine Unterschiede. Denen, die horchen, schenkt er seine Stimme. Die, die bereit sind, ihm zu dienen, lehrt er seine Gesetze. Die seine Gesetze verstehen wollen, zwingt er auf die Erde. Kniend, mit den Händen in der Erde, begegnen sie dem Lebendigen, dem verborgenen Wort. Das Leben offenbart sich dem, der treu ist. Sein Gesetz ist Geduld, Respekt und Begegnung,  Wachstum und Vergehen.

Der Garten lädt alle ein: Nahe und Ferne, Menschen aus der Mitte und Menschen am Rand, Verletzte und Gekränkte, jene, die jedem Sturm trotzen und jene, die das Leben vor sich hertreibt wie Blätter im Wind. Alle sind sie wie Gras, wie Blumen auf dem Feld (Ps 103), doch „das geknickte Rohr bricht Er nicht ab.“ (Jes) Er stützt die Schwachen, er lässt „seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5). „Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, wie er die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es mit dem Wort, das Seinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu ihm zurück, sondern bewirkt, was Er will, und erreicht all das, wozu Er es ausgesandt hat.“ (Jes).

Ich sagte zum Mandelbaum: Erzählt mir von Gott! Und er blühte.