Neben-Figuren: Karfreitag, Simon von Cyrene

von | Apr 2, 2021 | Wort zum Sonntag | 0 Kommentare

Geschrieben von Christian Wetschka

2. April 2021

Von zwang und freiheit

Simon von Cyrene und Jesus

 

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Simon von Cyrene und Jesus, Metall-Skulptur von Joe Ahorn, fotograftiert von Fritz Polesny
Einige Monate lang stand die Skulptur von Joe auf dem niedrigen Glastisch in meinem Büro und wurde Zeuge unzähliger Gespräche. Von allen vier Kunstwerken ist dieses das schwerste:  verschiedene Metalle, wie man sie auf Baustellen oder in Schlossereien findet, zurecht-gehämmert, zusammen-geschweißt, massiv, rau, derb. Man ahnt die Kraft und den Willen, den es braucht, um die Materie in diese Form zu zwingen. Bei rechter Betrachtung ist diese Tatsache schon ein Spiegelbild der Geschichte selbst, die sie vermittelt: der Bauer Simon von Cyrene wird von den Römern gezwungen, ein Stück weit das Kreuz Jesu zu tragen. Er hat keine Wahl, die Machthaber wollen es so – und so fügt er sich, stemmt den schweren Holzbalken und trägt ihn zur Hinrichtungsstätte. Was mag in ihm vorgegangen sein? Plötzlich eingespannt in eine schaurige Geschichte, mit der er vielleicht nicht das Geringste zu tun hat. Unter den sensationslüsternen Blicken der Leute am Straßenrand verbinden sich für einige Momente seine eigene Geschichte und die Geschichte dieses gefolterten Mannes aus Nazareth, der sich unweigerlich seinem ungerechten Tod entgegen schleppt. Er ahnt nicht, dass sich noch Jahrtausende später Menschen an diesen Moment erinnern werden. Heute noch findet man den Hinweis auf diese unfreiwillige Begegnung auf einer Tafel auf jenem Eckhaus an der Via Dolorosa in Jerusalem, und nicht nur das, sogar der Name des Helfers ist erhalten: Simon von Cyrene, ein Bauer aus dem Süden, aus dem heutigen Libyen, der wohlhabenden und einst bedeutsamen Stadt Kyrene. Ein Afrikaner, ziemlich sicher mit schwarzer Hautfarbe.
Die schaurige Szene ist schwer zu deuten. War diese angeordnete Hilfeleistung wirklich eine Hilfe für Jesus, der auf den letzten Metern nach Golgatha vielleicht noch einmal durchatmen konnte, oder diente sie nur der Beschleunigung der Hinrichtung oder sogar der Steigerung der dramatischen Inszenierung? Vielleicht war sie auch noch eine zusätzliche Machtdemonstration der römischen Soldaten, die auch bei dieser Gelegenheit noch einmal zeigen wollten, dass sie sich jeden x-beliebigen aus der Menge greifen und zu einer demütigenden Tat zwingen konnten.
Vermutlich ist diese vormittägliche Begegnung auf einer der Hauptstraßen des alten Jerusalem nicht spurlos an Simon vorübergegangen. Wie mag er sich gefühlt haben? Hatte er Mitleid? Angst? War er verärgert oder wütend? Die biblische Aufzeichnung sagt darüber nichts. Eine einzige Tatsache steht fest: er war da! Er war da und trug für einige Hundert Meter das Kreuz. Die persönliche Befindlichkeiten interessierten den Beobachter nicht. Und das ist ein interessantes Detail, speziell für uns Heutige, die wir persönliche Emotionen und Reaktionen für besonders wichtig halten. Manchmal ist aber entscheidend, dass wir da sind und dass wir etwas tun – unabhängig von unseren Gefühlen. Simon war da, und er tat, was getan werden musste.

 

Wer ist der Simon in meinem Leben (oder gab es mehrere)?

Wer wurde freiwillig oder unfreiwillig zum Zeugen meines Leidens?

Wer war da, als mir die Last zu schwer wurde?

Wer ließ sich auf die Situation ein, ohne seine Befindlichkeiten in den Vordergrund zu stellen?