Neben-Figuren: Osternacht, Der Wächter

Geschrieben von Christian Wetschka
VOM WACHEHALTEN UND ÜBERWÄLTIGUNG
Der Schrecken des Grabwächters
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Der Schrecken des Grabwächters, Papierskulptur von Susanne Matula
„Und siehe, es geschah ein gewaltiges Erdbeben;
denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab,
trat an das Grab,
wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
Sein Aussehen war wie ein Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee.
Aus Furcht vor ihm erbebten die Wächter
und waren wie tot…“
Man könnte meinen, mit dem Oster-Evangelium sind wir im Science-Fiction-Genre gelandet: Ein himmlischer Superheld schiebt locker den riesigen Grabstein zur Seite und nimmt lässig Platz auf dem Felsen, gerade, dass er sich nicht auch noch cool eine Zigarette anraucht. Nebenbei hat er gerade ein gewaltiges Erdbeben ausgelöst.
Dass die römischen Securities vor dem Grab vor Angst erstarren, versteht sich in diesem Szenario von selbst.
Was uns in diesen Bildern vermittelt wird, hat mit Gewalt zu tun. Die eine Gewalt stellt sich gegen die andere Gewalt: Wenn die himmlischen Soldaten anrücken, stürzen die römischen Soldaten zu Boden. Die Bösen werden zur Erde geworfen, die Guten bleiben entspannt. So weit, so gut.
Die Botschaft des Evangeliums jedoch erschöpft sich nicht in Science Fiction. Mit den effektvollen Filmen von Star-Wars bis Star-Trek kann der biblische Text nicht mithalten, und das will er auch nicht.
Auf einer tieferen Ebene spricht das Evangelium unser grundlegendes Verhältnis zum Leben an. Da versuchen zwei Beamte, die Wächter, das Leben einzusperren. Da soll die Wahrheit über das Leben in einem Grab eingekerkert bleiben. Und sie scheitern kläglich. Dieser Konflikt prägt die Geschichte der Menschheit: Machtapparate, die Menschen wegsperren und töten, Ideologien, die über Leichen gehen. Weiß Gott, wie viele Mauern und Zäune wurden aufgebaut, um das Denken und Tun von Menschen zu kontrollieren.
Aus dieser Perspektive spiegelt sich im Geschehen am Grab der Urkonflikt zwischen den Unterdrückern des Lebens und den Verteidigern der lebendigen Kräfte im Menschen.
Dass die Wächter im Kontakt mit dieser lebendigen Energie (Erdbeben, Blitz) ihre Erstarrtheit spüren und in ihnen die Angst sich ausbreitet, kann man sich vorstellen.
Also ja, wir kennen sie: diese Wächter, die aus Angst vor dem Leben das Leben zu kontrollieren versuchen.
Hand aufs Herz, diese Kontrollneigung tragen doch vielleicht nicht wenige von uns in sich. Gerne würden wir in jeder Phase die Kontrolle über unser Leben und das Leben anderer behalten – und müssen dann doch erkennen, dass dies nicht geht. Dieses Corona-Jahr liefert uns ständig Beispiele für das Auseinanderklaffen zwischen Kontrollwunsch und realer Beherrschung der Situation. Letztlich ist die Kontrolle über das Leben eine Illusion.
Die Neben-Figur des Wächters steht für die Versuchung, die Weite und Unberechenbarkeit des Lebens in Schubladen einzusperren. Und es gibt diese Neben-Figuren natürlich vielfach in unseren Lebensgeschichten: all die Menschen, die uns bewacht und kontrolliert, gelenkt und eingeengt haben (oft mit den besten Absichten). Manche haben Spuren hinterlassen, manche sogar Wunden. Es hat sie gegeben und es wird sie immer wieder geben. Der Kampf um die Verbindung mit dem Leben kommt nie an ein Ende, immer wieder nehmen wir ihn auf. Existenzielle „Erdbeben“ können helfen, himmlische Superhelden können helfen, aber in Wirklichkeit spielt sich dieser Kampf nicht in einem Science-Fiction-Film ab, dieser Kampf ist unser tägliches Leben.
Wer oder was hält uns vom Leben ab?
Wer oder was lässt uns nicht weiterkommen auf unserem Weg?
Von wem oder was lassen wir uns kontrollieren? Wem geben wir Macht über uns?
Wie heißen sie, die Wächter unserer Seele?
