Zumutung

Jan 30, 2021 | Aktuelles, Wort zum Sonntag | 0 Kommentare

Geschrieben von Tomas Kaupeny

30. Januar 2021

 

 

Wort zum Sonntag

Zum Geleit

 

Schön, dass wir jetzt wieder beisammen sind.

 Montagmorgen. Tut gut, ist heilsame Erinnerung, in die Arbeitswoche mit einem Begräbnis zu starten: 8:20, Josef Homan, Wiener Zentralfriedhof.

Unser lieber Pepi, der erste Mensch, der mir vor 35 Jahren im Rupert-Mayer-Haus begegnet ist. Portierdienst hat er gemacht. Und seine herzliche Begrüßung war ein wunderbarer Einstieg in die neue Aufgabe…

Nur Nina, die Tochter von Adi, der Pepi Jahrzehnte hindurch ein treuer, geduldig humorvoller Weggefährte war, ist gekommen. Mit dem Kreuzträger sind wir drei.

„Wo zwei oder drei…“

Irgendwie empfinde ich es als Ehre zu diesem Anlass hier zu dritt als Stellvertreter der ganzen Menschheitsfamilie auserwählt zu sein, den Menschenbruder auf seinem letzten irdischen Weg zu geleiten.

 Es ist ein sehr weiter Weg und ein scharfer, eiskalter Wind fetzt entgegen. Dankbar bin ich für das rot leuchtende Sterbekerzerl in meinen Händen. – Der durchbrochen `goldene´ Blechaufsatz, sonst innerhalb von Sekunden brennheiß, wird durch die herrschende Kälte wundersame Aufwärmhilfe meinen klammen Fingern. Leise singe ich Pepis Lieblingslieder. Herzerwärmend, jeder Gedanke an ihn.

 

„Ein Licht im Herzen, das Herz im Licht“ – sei mit Euch !

Habt Dank für die vielen kleinen Alltagslichtln, die Ihr entzündet, – die vielen `Herzen im Licht´ begleiten unsere Wege mit Zeichen ihrer Nähe…

Lied zur Einstimmung:

 

„There is a balm in Gilead“,

gesungen von Nina Simone

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Schriftliche Predigt von Tomas

zum 4. Sonntag im Jahreskreis

Mk 1, 21 – 28

Zumutung

Aus dem Evangelium nach Markus

Mk 1, 21-28

Sie kamen nach Kafarnaum. Am folgenden Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

In Kafarnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte.

Das Gesicht von der Kälte gerötet, die Augen tränen, die Nase rinnt. So steht Edward, unser langjährig treuer Klarinettist, mittlerweile Mundharmonika-Virtuose, vor mir: „Bittä Tomas – no, hob ich große Frrage: Bittä, äh – wonn iss ar wiederr Chailiger Messä?“

„Ach, Edward, ich würd´s Dir so gern sagen, aber leider: ich weiß es ja selber auch nicht.“

„Das is Schlechtä, sehrr Schlechtä firr mich!“ Edwards Augen füllen sich mit Tränen. Er schnieft und seufzt. „Die Gemaindä is arr meine Fammilia mit unsere liebe Jesusch! Oi-jah! Oii-jah!!“ Edward nickt bekräftigend nachdrücklich: „Wonn is arr nix Chailiger Messä mehrr, i bin a bald nix mehrr, keine Edward mehrr! Jo, ich sterrbe.“

Was für Edward in Wien die Kirche, ist den Juden seit der Zeit des Babylonischen Exils die Synagoge: ein Stück Heimat in der Verbannung, in der Fremde. Versammlungsort, Gebetszentrum und Schule. In Kafarnaum, dem Handelszentrum, stand die größte Synagoge der Umgebung. Kam ein Gast zum Gottesdienst, wurde ihm die Ehre zuteil, in der Synagoge aus der Heiligen Schrift vorzulesen und seine Auslegung vorzutragen. Unnötig zu sagen, dass man jedem Neuen zunächst einmal wohl aufmerksamer zuhört, als den altbekannten Dauerrednern…

Ein alter Witz erzählt, die Bäuerin lag krank darnieder. Also schickt sie Sonntags den Bauern allein in die Kirche.

Als er zurückkommt, fragt sie neugierig: „Und, wie war´s heut´?“

„Na ja, so wie immer halt.“

„Hat er gepredigt?“

„Jo jo, wie immer.“

„Und – was hat er denn ´predigt heut´?“

„Na ja, über die Sünde halt – wie immer!“

„Und – was hat er g´sagt dazu?“

Der Bauer seufzt tief auf: „Na ja, wie immer! Er – war dagegen !“

Na ja, kennt man das nicht von irgendwo her…

Und die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.

Vor diesem Hintergrund aber ahnen wir was von der Überraschung, die Jesu Art zu sprechen auslöst… Sein Wort rüttelt wach, geht unter die Haut und weckt die uralte, tiefe Sehnsucht nach Nähe. Wirft neue Fragen auf, schenkt manche Antwort. Es tröstet, ermutigt und lädt ein. Tut gut.

 

In ihrer Synagoge saß ein Mann, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien…

Da! Auf einmal fahren alle Köpfe gleichzeitig herum, ein grauenhafter Schrei aus Angst und namenloser Wut gellt durch den Raum. Zitternde Warnung und hilflose Drohung.

Um Gottes Willen! Nein, bitte, nicht der schon wieder: Ja, es ist der Mann mit dem unreinen Geist. Wenn das so weitergeht, müssen wir uns da wirklich was einfallen lassen. Die ekelhaften, schaurigen Inszenierungen von diesem Störenfried nerven. Niemand weiß, was in den gefahren ist. Niemand kann ihm helfen. Wie auch? Die Abergeister haben ihn im Zangengriff. Besser Abstand! Vorsicht! Unrein!

 

`Unrein´: jüdisch `trejf´. – `Nicht koscher´. `Verboten´. `Anrüchig´. `Gefährlich´. Nun, so fern und unverständlich ist uns dieses Wort ja eigentlich gar nicht. Und `koscher´ für `in Ordnung´, `rein´, `erlaubt´, `ehrlich´ kennt jeder Wiener.

 

„Schreib Dir das endlich hinter die Ohren, das ist für Dich absolut tabu!“ hieß es, wenn wir als Kinder etwas unter keinen Umständen berühren durften…

„Pfui Teufel! Was frisst´n der Hund schon wieder?“ entsetzten wir uns, wenn Jackie im Park verstohlen menschliche Exkremente hinunterschlang. „Aus! Pfui! Nein!“ befahlen wir in scharfem Tonfall und hielten uns die Nase zu, wenn sie sich in Aas gewälzt hatte, dann unbefangen wedelnd brav zu uns zurückgekehrt war und uns abschleckten wollte.

`Unrein´ stand auch auf dem weißen Emailbehälter in der väterlichen Ordination. Damals gab es ja noch keine verpackten Plastik-Einmalspritzen, sondern nur das Glas-Metall-Vorgängermodell. Eine Spritze landete nach Gebrauch sofort in dem Gefäß für `Unrein´, bis sie sterilisiert im `Rein´-Becher für neuerlichen Einsatz bereit lag.

Unrein – `Finger weg, das ist gefährlich´- so hieß das strenge Gebot, `Oder – willst Du Dich unbedingt anstecken?!´

„Kumm her, i hab an Witz für Di´“ raunten wir als Jugendliche einander zu, „Wart, gemma rüber, braucht niemand sonst zuhör´n, der is nämlich ned ganz zimmerrein…“ Als Antwort auf den Witz erfolgte dann – oft erst nach einer Nachdenksekunde: „Da brauchst´ aber echt a dreckige Phantasie, dass D´ den verstehst!“ Kopfschütteln unter schallendem Lachen…

Der unreine Geist: verdreckter, verschmutzter Geist, krank machend für Leib und Seele, unheimlich, unberechenbar. Verwirrend, verirrt. Verstörend. Hässlich, lügenhaft ansteckend, nach und nach den ganzen Menschen vereinnahmend. Gemeinschaft gefährlich spaltend, zersetzend. Bis zum heutigen Tag sagen wir ja bestimmten menschlichen Phänomenen gegenüber: „Du, bei dem musst D´ aufpassen: ich sag Dir nur das eine: koscher ist der nicht“. Was so viel heißt wie: `Der führt was im Schilde! Da kommt noch was, nimm Dich in Acht!´

Umso erstaunlicher also, dass auch dieser Mann mit dem unreinen Geist – was auch immer das, näher betrachtet, gewesen sein mochte – offenbar seinen festen Platz in der Gemeinschaft hatte.

Aber: was in der Predigt Jesu viele staunen ließ, weckte in diesem verstörten Herzen namenlose Angst, Widerwillen, Widerspruch bis hin zur Unterstellung: „Bist Du gekommen, uns ins Verderben zu stürzen?“ Und heiser, ein zitternd, verzweifelt hervorgestoßenes: „Ich weiß, wer Du bist, der Heilige Gottes!“

Doch Jesus droht der dunklen Übermacht, die diesen armen Verrückten täglich foltert, fesselt, quält und grauenhafter Gehirnwäsche unterzieht.

„Schweig und verlass ihn !“ `Lass los !´

Unvorstellbar, welcher Kampf sich nun in diesem gemarterten Menschenherzen abspielt, wie´s den durchbeutelt, schüttelt und umreißt: Gebrüll, – wie von einem angeschossenen Tier, dann Stille. Eine Stecknadel hätt´ man fallen hören. Ungläubig gläubiges Staunen.

 

…und einer fragte den anderen: Was hat das zu bedeuten?

 Nach einer bitteren Enttäuschung ballten sich wie Gewitterwolken unheiliger Zorn und aufgestaute Wut in mir zusammen. Ich trete gegen eine Hausmauer, knalle die Faust, die Knöchel voran, gegen einen Lattenzaun. Der gellende Schmerz tut gut. Befriedigt betrachte ich den rußigen Dreck, der nun an der aufgeschürften Haut haftet und den Blutsfaden, der dunkelrot mittendrin funkelt. Ich muss einfach schreien, also los! Von meiner eigenen Stimme erschreckt, zuck ich zurück: Wie fremd, hohl und kalt sie sich anhört. Ich muss das Ganze loswerden, muss mich vielleicht einfach auskotzen bei irgendwem, – aber wem soll ich diese boshafte Sauerei, diese Gemeinheit zumuten. `Geteiltes Leid ist halbes Leid!?´- …manchmal aber auch ansteckend, verdoppeltes Leid. Lupe und Vergrößerungsglas, – oder?

Ich hör´ Jesu `Scha! Still! Macht nit kejn Gerede…´ Das alte jiddische Lied kommt mir in den Sinn und auf einmal weiß ich wieder, wo ich abladen muss, kann, darf…

In der düsteren Kirche auf einer uralten dunklen Bank, hundertfach gekerbt das Holz, finde ich mich ein. Jetzt, wo´s da herinnen ganz still ist, nehm´ ich erst wahr, wie viele Stimmen, grell und unheimlich, in mir durcheinander schreien. Und verstohlen flüstern.

In der düsteren Kirche auf einer uralten dunklen Bank, hundertfach gekerbt das Holz, finde ich mich ein. Jetzt, wo´s da herinnen ganz still ist, nehm´ ich erst wahr, wie viele Stimmen, grell und unheimlich, in mir durcheinander schreien. Und verstohlen flüstern. Meine Zerrissenheit. Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen Angst und zaghaft keimendem Vertrauen. Ich fühl ihr auf den Zahn. Eigenartig: es sind doch immer wieder die alten Wunden, die – längst vernarbt geglaubt – neu aufgerissen so weh tun.

Wenn da Dreck hineinkommt, werden sie – das weiß ich aus Erfahrung – wieder eitern. Im Geiste beginn ich, meiner Seele ihre Lieblingslieder vorzusingen, halt mich fest, hantle mich weiter an von Kindheit auf vertrauten Gebeten. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ach, gut tut´s, so gut: – ein Überdruckventil.

Angesichts der kleinen, flackernden Opferlichter, spür ich, wie sich das mir widerfahrene Unrecht relativiert im Vergleich mit dem Leid, das Menschen bewegt haben mag, ihre Kerze zu entzünden. Aushalten, Durchhalten, Ertragen, Um neue Kraft Bitten… Jedes Lichtl da vorn erzählt.

Irgendwann steh ich auf. Spürbar erleichtert. Die Enge, der Druck, die Schwere sind gewichen. Es ist eigentlich wirklich furchtbar anstrengend, im Bösen zu verharren und Feindbilder staubfrei zu halten…

 

Ach, wisst Ihr: das ist für mich in diesem Evangelium die große Einladung. Ich darf immer wieder der Mensch mit dem unreinen Geist sein und mich dem Geheimnis Jesu aussetzen und zumuten – ins Dunkel hinein: genau so, wie ich bin, wie ich´s erlebe. Klage und Anklage. Wille und Widerwillen. Trotz und Verstockung. Bosheit und Rachegelüste. Sehnsucht. Daran, darin, trotzdem wachsen, nicht zugrunde gehen: das Herz wird geweitet – um andere zu verstehen.

Ich danke Dir.

 

 

***

Kaum zu glauben: vor ein paar Tagen hat mich Christian dran erinnert, dass in drei Wochen schon wieder Aschermittwoch ist. Angesichts der ständig gegenwärtigen `Zeit-Verschiebungen´ wird mir erst klar, wieviel Struktur und Rhythmus der Kirchen-Jahreskreis mir bisher geschenkt hat. Und wie sehr ich mich sehnsüchtig auf´s regelmäßige Feiern mit Euch am Schedifkaplatz freu.

 

„Zerreißt Eure Herzen, nicht Eure Kleider!“ (Joel 2.19) lautet das Thema des neuen Zusammenhang. `Herzerreißend´. `Herzensanliegen´. `Herzerfrischend´. `Mir blutet das Herz´. `Mir geht das Herz über´. `Mir stockt das Herz´. `Herzi-Binki´. – Und `Gewandsorgen´. `Veräußerlichung´ und `Verinnerlichung´. `Schein´ und `Sein´.

Jeder von uns hat da so seine Erlebnisse und Erfahrungen damit. Bitte, vielleicht kannst Du was niederschreiben dazu, andern zum Trost, zur Stütze, zur Freude oder auch Warnung. Erinnerung und Verheißung?!

 

Danke für den Zusammenhalt an den vielen kleinen Orten und die vielen kleinen, großen Dinge, die da einfach still und notwendig getan werden füreinander.

Im Gebet und im täglichen Aufbruch fest verbunden,

 

Euer Tomas