Christkönigssonntag 2020

Geschrieben von Tomas Kaupeny
Wort zum Sonntag

Zum Geleit
Grüß Euch Gott, meine Lieben!
Der Lockdown hat uns wieder. Na ja… Reden wir von was Erfreulichem:
Zweimal in dieser Woche hab ich über das Phänomen Hörgerät gestaunt:
Mein Bruderherz war in letzter Zeit oft sehr missmutig, verzagt und störrisch. Manchmal hat man was zu ihm gesagt, und er dreht sich wortlos einfach um und geht. Dabei ist er vom Wesen her doch wahrhaft eine Frohnatur!? Und dann die große Überraschung: Eines Tages komm ich, und er läuft mir entgegen wie früher, redet viel, versteht jedes Wort, wirkt als Ganzer trotz seiner Grunderkrankung erstarkt, wie befreit. Ein kleines, großes Wunder.
Ich besuche anlässlich ihres 86. Geburtstages die jüngste Schwester meiner Mutter im Altersheim. Nach den vergangenen Besuchen war ich auf alles gefasst: hatte sich doch in ihrem oft zusammenhanglosen Sprechen und in ihren Antworten eine schnell voranschreitende Altersdemenz gezeigt. Die vielen Stimmfühlungslaute, x-malige Wiederholungen und ein gewisser Hang zur Hysterie deuteten leider in dieselbe Richtung.
Und dann komm ich aus dem Staunen nicht heraus: Tante Hanna weiß, hat sich gemerkt, dass ich komme. Versteht mich trotz Maske und 2 m Abstand bei offenem Fenster. Ist absolut klar, spricht ruhig, leise und unaufgeregt. Hat die kleinsten Details aus dem Leben ihrer Kinder, Enkeln und Urenkerln in Erinnerung… Nur staunen kann ich, mehr doch nicht.
Die Schwerhörigkeit drängt den Menschen oft in eine zunehmende Einsamkeit, entfremdet ihm die anderen, macht störrisch, trotzig und starrsinnig. Was für ein Wunder ist doch so ein Hörgerät – eine Erlösung für beide Seiten: Einander-Wiederfinden!
Das Hörgerät des Menschenherzens ist die Zeit der Stille… Die ich mir nehmen, abverlangen, zumuten muss… Um dann auch im Alltagstrubel die innere Stimme nicht zu überhören.
Vielleicht kann und will uns dieser Lockdown ja sogar behilflich sein dabei.

Gospel zur Einstimmung
We shall overcome
We shall overcome, some day
I do believe
We shall overcome, some day
We’ll walk hand in hand
We’ll walk hand in hand
We’ll walk hand in hand, some day
Oh, deep in my heart
I do believe
I do believe
We shall overcome, some day
We shall overcome, some day
We shall live in peace
We shall live in peace, some day
We shall live in peace, some day
I do believe
We shall overcome, some day

Schriftliche Predigt
von Tomas
zum Christkönigsonntag 2020
Vom Entgegenkommen
Wenn der Menschensohn in seiner Lebendigkeit kommt und alle Engel mit ihm…
Ich warte in der U-Bahn-Station mit vielen anderen auf den Zug. Die Zeitangaben auf der Leuchttafel springen ständig hin und her. Leute werfen nervös besorge Blicke auf die Uhr, halten Ausschau nach einem Aufsichtsorgan, das Klarheit verschaffen, Auskunft geben könnte über den Verbleib des Zuges.
Da – ein Ruck geht durch die Menge, alles starrt gebannt in Richtung jener schwarzen Höhlung, aus der heraus nun bereits ein lautes, sich rasch näherndes Brausen und Getöse schallt. Wie wenn ein gewaltiger Sturm daherfährt. Dann fetzt dieser starke Luftstoß an, der Vorläufer, der endlich die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Zuges bezeugt.
Wann und wo auch immer ich dieses Geschehen miterlebe, fällt mir jener erste Satz des Christkönig-Evangeliums ein; dass uns allen nämlich täglich, – dass Dir und mir heute das Leben neu entgegenkommt in dem, was da eben kommt: Was berührt, ruft, warnt, seine Fragen stellt, Aufträge erteilt, tröstet, heilt, – und sehnsüchtig auf meine Antwort wartet. Dem Leben Antwort geben ist meine – ist unser aller Aufgabe. Und ich danke für das dichte Netz von Lebenden und Verstorbenen, das mich trägt, auffängt und stärkt: Jene Boten, `Engel mit ihm´, die mich ermutigen, weil sie mir gezeigt haben, was das heißt kann.
Die `Ich´- Form, in der Jesus spricht, hilft mir, mich aufmerksam und ehrlich in der eigenen Lebensgeschichte zurückzutasten: Ausschauhalten, Horchen und Nachspüren dem Wunder der Begegnung.

Arzu, eine kurdische, muslimische Frau, war neu ins Mutter-Kind-Haus eingezogen, mit ihrer Tochter Dilara, einem Säugling mit schwerer Behinderung. Von Beginn an staunen wir, mit welcher Sorgfalt und Liebe diese Mutter, die an eigenen Enttäuschungen und Schicksalsschlägen schwer trägt, ihr Kindlein hegt und pflegt. Jeden Wunsch liest sie ihm von den Augen ab, erspürt die Schmerzen, Ängste und Nöte der Kleinen, lindert, wo und wie auch immer sie vermag. Und strahlt selig über den kleinsten Entwicklungsfortschritt, den Dilara schafft. Als der Tag des Abschiednehmens gekommen war, sagte ich zu ihr vor versammelter Runde: „Der Liebe Gott hat deinem weiten Mutterherzen ein ganz besonderes Kindlein anvertraut, – Du warst, bist und bleibst mir in Deiner Art der Zuwendung Vorbild, Trost und Wegweisung: anderer Schmerz zu lindern macht den eigenen Schmerz leichter.“
Nun,– Du, ich, jeder war einmal ein hilfloser Säugling – wir alle tragen in unterschiedlicher Weise diese Ur-Erfahrung und Erinnerung in uns. Wie sorgenfrei oder überfordernd unsere eigene Kindheit, unser Aufwachsen auch gewesen sein mag: es gab da doch stets Menschen, die unseren Hunger und Durst gestillt, unsere Nacktheit bekleidet, uns Obdach gegeben, und unsere Fremdheit angenommen haben. Die, als wir krank waren, nach uns geschaut, uns im Gefängnis der Angst und Ausweglosigkeit aufgesucht haben. Denn: Sonst gäb´s uns heute nicht in dieser Welt. Ja, ich und Du, wir alle waren einmal ganz und gar, mit Leib und Seele, Haut und Haar auf die Fürsorge anderer angewiesen. Und wir alle sind in Wahrheit unser Lebtag lang auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Wir brauchen einander Lebens-Not-wendig.
Jede, jeder von uns kann Geschichten erzählen von nagendem Hunger und quälendem Durst, unheimlicher Krankheit, bedrückender Fremdheit, Enge, Befangenheit und gemeiner Bloßstellung. Ich, Du, wir alle wissen ja, wie das ist, und – haben auch immer wieder erlebt, wir uns geholfen wurde. Erlösung. Es waren die kleinen Worte, das leise Verstehen, die bescheidene Geste, – die milde Gabe. Das Wahr- und Ernstgenommenwerden.
Matth. 25, 31 – 46
CHRISTKÖNIGSSONNTAG
Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist.
Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen ;
Ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?
Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?
Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen?
Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.
Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.


Bloß – es gibt auch jene Zeiten, in denen wir Gefahr laufen, genau darauf zu vergessen: Immer gieriger bloß auf den eigenen Vorteil bedacht, die anderen nur als Mittel zum Zweck benutzend wird der Mensch argwöhnisch und misstrauisch. Er kreist um sich selbst. Überdruss, Leere und Einsamkeit nisten sich in seinem Herzen ein. Irgendwann packt ihn eine grauenhafte Angst. Und die Angst vor der Angst peitscht sein mörderisches Tempo und verzweifeltes Lärmen noch einmal vorwärts. Das ist die Hölle auf Erden.
Aus großer Sorge heraus malt Jesus uns, die wir unterwegs sind, sozusagen den Teufel an die Wand, um vor diesem Irrweg zu warnen.
Aber,
Der gute Hirt geht dem Verlorenen nach, bis er es findet.
Die Tore der Umkehr stehen immer offen.
Viele Stunden war ich weit gewandert. Nach der Hitze dieses Sommertags kühlte es nun merklich ab. Vom rechten Weg abgekommen, hatte ich mich weit ins steile Gebiet hineingewagt, auf der Suche nach irgendeinem Wegzeichen. Dass mich mittlerweile immer wieder ein Drehschwindel befiel, war unheimlich. Freilich, ich rechne nach: seit 10 Stunden hab ich nichts gegessen und getrunken, – die Kehle brennt, der Magen knurrt – das Herz verzagt. Und da hör ich auf einmal den Ruf: „Söööh! Söööh!“ Das muss ein Halter sein, auf der langen Suche nach einem verlorengegangenen Rind. Kurzerhand schrei ich, so laut ich nur irgendwie kann, zurück! Und mehrmalige Rufe hin und her bestätigen mir: Tatsächlich, eindeutig, er antwortet! Und bald schon kommt er mir mit Riesenschritten bergauf entgegen, winkt: ein drahtig sonnengegerbter Kraftlackl, den Ranzen umgeschnallt. Ich schildere ihm in aller Kürze meine Situation. Er zeigt weit unter uns auf eine riesige uralte Tanne, vielleicht zwei Kilometer entfernt – genau da führt der Weg vorbei, runter ins Tal. Ein Stückl weiter sei dort auch die Rindertränke mit fließendem Wasser zu finden. Auf mein Bitten hin holt er aus seinem Ranzen einen Kanten steinharten Brotes hervor: „Des hom´s am ollerliabsten, die Rindviecher!“ lacht er verschmitzt.
Ich nagte daran den ganzen weiteren Weg in strömender Dankbarkeit für diesen Nothelfer, und kaute bis das Brot süß schmeckte…. Köstlich! Dieser einfache Senn wird mir wohl mein Lebtag lang – genauso, wie viele von Euch – leuchtendes Vorbild und Rückenstärkung bleiben. Ein Engel.

Was ihr dem Geringsten eurer Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan, – oder eben nicht getan. Der woran auch immer notleidende Mensch ist mir so nah, wahrhaft: `als wär´s ein Stück von mir´, sagt Jesus.
Anlässlich des 50. Geburtstags meines Lehrpfarrers Walter Mück sagte der Pastoralassistent Heiner Leineweber in seiner Fest-Ansprache: „Walter, ich hab an Dir immer so bewundert, wie gleichgültig Dir die Menschen alle sind“. Stirnrunzeln, angedeutetes Kopfschütteln, fragend irritierte Blicke im Publikum. Da erklärt Heiner: „Du hilfst nämlich jedem, so gut Du es eben vermagst. Ohne Wertung der Person widmest Du Dich ganz Deinem Gegenüber.“
Eine alte Geschichte erzählt von innerer Zwiesprache.
„Lieber Gott – wenn´s Dich gibt – warum bitte gibt´s so viel Elend, Hunger, Durst, Leid und Grausamkeit in dieser Welt? Und – warum machst Du nichts dagegen?!“
„Ich hab etwas dagegen gemacht.“
„Und – darf ich fragen: Was, bitte?“
„Dich.“
***
Wenn auf diesem Weg ein wenig Einkehr geschenkt wird, hat´s schon sein Gutes! Wenn da und dort sogar die Familie sich um Gottes Wort schart, Hauskirche erlebbar wird, tät´s mich freuen.
„Sabbath shalom!“ sagte unsere Tante Anna jeden Samstagmorgen zu dem alten Juden, der auf einem Stockerl vor seinem Laden saß.
„A gute Andacht mecht i winsch´n!“ war sein Gruß für sie am Sonntag.
In diesem Sinn Behüt Euch Gott!
Täglich fest verbunden in der Drangsal und der Hoffnung,
Euer Tomas