Wir haben den Herrn gesehen!

Geschrieben vonBerta
Bibelrunde
Wir haben den Herrn gesehen!
2. Sonntag in der Osterzeit
Wieder einmal lässt uns die Zusammenschau der Texte der Liturgie ein Thema entdecken, das zeitlos ist und uns mitten hinein in unser Leben führt:
Da zeichnet die Apostelgeschichte ein Bild der christlichen Gemeinde – sicher etwas überhöht und (mit Absicht?) überzeichnet. Gleichzeitig gewährt uns das Evangelium Einblick in die Gemeinschaft der Jünger, die sich verängstigt hinter verschlossenen Türen einschließt. Lapidar heißt es: Und Thomas war nicht bei ihnen. Wir wissen nicht, aus welchem Grund. Klar ist nur, dass ihm eine wichtige Erfahrung, die die anderen gemacht haben, fehlt: Wir haben den Herrn gesehen! Persönliches Suchen und Fragen und Erfahrungen in der Gemeinschaft ergänzen einander!
Lesung
Apg. 4, 32-35
Die Menge derer, die gläubig geworden waren,
war ein Herz und eine Seele.
Keiner nannte etwas von dem, was er hatte,
sein Eigentum,
sondern sie hatten alles gemeinsam.
Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn,
und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen.
Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt.
Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen,
verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös
und legten ihn den Aposteln zu Füßen.
Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.


Evangelium
Joh.20,19-31
Es war spät abends an jenem Sonntag. Die Jünger hatten Angst vor den Juden, deshalb hatten sie die Türen abgeschlossen. Da kam Jesus und trat in ihre Mitte. „Ich bringe euch Frieden!“ sagte er.
Dann zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Sie freuten sich sehr, als sie den Herrn sahen.
Noch einmal sagte Jesus zu ihnen: „Ich bringe euch Frieden! Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich nun euch.“
Dann hauchte er sie an und sagte: „ Empfangt Gottes heiligen Geist!
Wem ihr die Schuld erlasst, dem ist sie erlassen. Wem ihr sie nicht erlasst, der bleibt schuldig.“
Als Jesus kam, war Thomas, genannt der Zwilling, einer der zwölf Jünger, nicht unter ihnen.
Später erzählten ihm die anderen: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Thomas sagte zu
ihnen: „Ich glaube es nicht, solange ich nicht die Spuren von den Nägeln an seinen Händen sehe. Ich will erst mit meinem Finger die Spuren von den Nägeln fühlen und meine Hand in seine Seitenwunde legen.“
Eine Woche später waren die Jünger wieder im Haus versammelt, und Thomas war bei ihnen. Die Türen waren abgeschlossen. Aber Jesus kam, trat in ihre Mitte und sagte: „Ich bringe euch Frieden!“
Dann wandte er sich an Thomas: „Leg deinen Finger hierher und sieh dir meine Hände an! Streck deine Hand aus und lege sie in meine Seitenwunde! Hör auf zu zweifeln und glaube, dass ich es bin!“
Da antwortete Tomas: „Mein Herr und mein Gott!“
Jesus sagte zu ihm:
Weil du mich gesehen hast, glaubst du.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Noch viele andere Zeichen hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen. Jesus tat noch viele andere Wunder, die nicht in diesem Buch stehen. Seine Jünger waren dabei. Diese Taten aber wurden aufgeschrieben, damit ihr erkennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der versprochene Retter. Wenn ihr euch auf ihn verlasst, habt ihr durch ihn das Leben.
Für die stille Ecke:
Ostern habe ich heuer in Tirol erlebt. Wie sich die Zeiten geändert haben! War die kirchliche Gemeinschaft noch vor wenigen Jahren allgegenwärtig und prägend, sind heute kaum mehr Spuren davon vorhanden. “Thomas“ ist auch heute vielfach nicht dabei, wenn es um die österliche Erfahrung, die Begegnung mit dem Auferstandenen, die Stärkung im Glauben durch die Gemeinschaft geht.
„Thomas“ können heute Frauen sein, Jugendliche, Zweifelnde, Suchende, Verstummte, Entfremdete …Viele sind heutzutage nicht mehr „dabei“. Die Corona-Pandemie legt noch ein Schäuflein nach…
Jesus ruft beim Namen, ermutigt, verspricht den Frieden
und die Vergebung der Schuld.
Wir haben den Herrn gesehen!
Wir sind bereit, unsere Erfahrungen
zu teilen,
miteinander über den Glauben zu reden,
einander im Glauben zu stützen…
Wir vergeben einander die Schuld.
Wir versuchen, Frieden,
Wertschätzung zu leben,
einander nichts vorzu(ent)halten und
nachzutragen…
Mein Herr und mein Gott!
Wir versuchen, unsere Erfahrungen
in der Gemeinde zu verinnerlichen,
ins Gebet münden zu lassen….
Wälz den Stein weg!
Wir bitten
um ein neues Gefühl für die Sprache
im Hören auf Unterdrückte und Minderheiten.
Dass wir ein scharfes Gehör entwickeln
für die Sprache von Propheten und Befreiern.
Dass wir tief getroffen und wesentlich verändert werden
durch den Notruf aller Machtlosen,
durch den stillen Protest aller Sprachlosen.
Um ein neues Verständnis von Geschichte bitten wir.
Dass wir sie betrachten aus dem Blickpunkt der Verlierer,
nicht aus der Perspektive der Sieger;
aus der Sicht der Sklaven,
nicht aus dem Blickpunkt der Herren.
Um ein neues Verständnis von Erdkunde bitten wir.
Dass wir die Orte des Unrechts kennen.
Dass wir wissen, wo heute Ägypten liegt
und wo die Sklaven der jetzigen Pharaos wohnen.
Um eine neue Naturkunde bitten wir.
Dass wir uns entscheiden
zwischen Schöpfung oder Zerstörung.
Dass wir die Lagerstätten des Todes entlarven
und unseren Kampf für eine menschenwürdige Umwelt nicht aufgeben.
Um eine neue Methode des Rechnens bitten wir.
Dass wir uns üben im Mahlnehmen durch Teilen.
Dass ausgerechnet das Zeichen des Brechens und Teilens
das Zeichen des Überlebens wird.
Dass das letzte Abendmahl Jesu
der erste Überfluss für alle sein wird.
Dieter Zils